Interrail vor langer Zeit


Vor 35 Jahren, im Sommer, habe ich mich mit einem Interrail-Ticket auf den Weg gemacht, um Europa zu erkunden. Eigentlich wollte ich nach Belfast. Die Reise war ursprünglich fest durchgeplant, aber bereits nach meinem ersten Halt in Amsterdam hat sich alles geändert. Die Energie der Reise nach Belfast hat mich fasziniert, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich nur wenige Stunden für die ursprüngliche Idee haben würde. 

Anfangs war meine eigene Planung etwas durcheinander. Ein Freund brauchte Hilfe in Zürich, was mich von meiner ursprünglichen Route abbrachte. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz haben wir uns in Basel getroffen, um gemeinsam unsere Reise nach England fortzusetzen. Basel war eigentlich nicht auf meiner ursprünglichen Route, aber diese Stadt hat alles für mich verändert.

An einem sonnigen Nachmittag wartete ich auf den Zug nach England und da fiel mir eine junge Frau auf. Sie hatte auffallend blondes Haar, wirkte selbstbewusst und zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich dachte, sie kommt aus Schweden. Als ich sie ansah, wirkte ihr Blick ernst und abweisend. Ich habe mich nicht getraut, sie anzusprechen, obwohl ich mich zu ihr hingezogen fühlte. Schließlich habe ich mich getraut, sie anzusprechen. Die Realität sah dann aber doch etwas anders aus: Sie war verlobt und machte das auch gleich klar. Unsere ersten Gespräche waren ziemlich kühl und distanziert. Wir hatten einfach keinen gemeinsamen Nenner. Trotz ihrer emotionalen Abwehr spürte ich eine Faszination, die mich nicht losließ.

Die Zugfahrt von Basel nach England war noch mit ein paar besonderen Zügen ausgestattet, die mit Abteilungswagen zum Schlafen besonders geeignet waren. Ich hatte mir vorgenommen, mir einen Platz für mich zu besorgen. Ich hatte es geschafft, einen solchen Platz im Zug zu bekommen. Als ich dann nach der "Schwedin" sah, bemerkte ich, dass sie an unserem Zugabteil vorbeilief. Ich war sehr erfreut, als sie plötzlich in den Abteilwagen einstieg, ohne ein Wort zu sagen.

Erst mal habe ich erfahren, dass sie keine Schwedin ist und zuerst mal nach Amsterdam und dann nach London will. 

Trotz der Spannung zwischen uns habe ich mich dazu entschieden, ihr auf ihrer Reise zu folgen. Es war eine ziemlich ungewöhnliche Entscheidung, besonders weil unsere Kommunikation bis dahin alles andere als reibungslos verlief. In Brüssel habe ich noch mal versucht, ein Gespräch zu starten, aber sie wirkte oft abwesend. Ich fragte mich immer wieder, warum ich weiter mit ihr reiste, aber irgendetwas hielt mich davon ab, aufzugeben.

Von Brüssel aus ging's dann zurück nach Amsterdam. Wir haben ein paar Stunden im großen Hallenbad verbracht, sind geschwommen und haben die Hektik hinter uns gelassen. Nach und nach änderte sich die Stimmung zwischen uns. Wir haben mehr miteinander gesprochen und auch mal gelacht, aber die Spannung war trotzdem noch da. Wir waren noch nicht so richtig miteinander im Reinen. Es gab aber auch ein paar besondere Momente für mich. Als sie aus dem Wasser kam, bewegte sie sich wie in einem berühmten Film – ein sehr schöner Anblick.

Als Nächstes stand London auf dem Programm. Die Stadt hat uns beide beeindruckt, aber auch hier war die Distanz zwischen uns noch spürbar. Wir standen irgendwie in einem vorsichtigen Tanz miteinander, bei dem keiner den ersten Schritt wagte. Erst in Oxford, wo wir ein paar Tage verbrachten, spürte ich, dass sich was ändert. Die Atmosphäre der Stadt, ihre Mischung aus Tradition und jugendlicher Lebendigkeit, half uns, einander näherzukommen. Da haben wir uns dann zum ersten Mal richtig gut verstanden.

Als Nächstes ging's nach York und schließlich nach Edinburgh. In dieser Stadt mit ihren alten Burgen und nebligen, ruhigen Tagen sind wir uns dann erstmals wirklich näher gekommen. Wir sind stundenlang durch die engen Gassen spaziert, und plötzlich hat sie mich anders angesehen – ein vorsichtiges Öffnen, das mich ermutigt hat.

Auf dem Weg von Edinburgh haben wir einen kleinen Abstecher an die Nordseeküste gemacht. Die Nacht war ziemlich düster und es hat geregnet. Das Dorf, in dem wir übernachteten, wirkte fast verlassen. Auf einmal hörte ich Schritte in der Dunkelheit. Ich hatte sofort Angst, denn der Mann, der da auf mich zukam, war ziemlich groß, hatte kurze Haare und guckte sehr ernst. Für mich war ein beeindruckender Typ, der direkt auf mich zukam. Es war ein englischer Soldat, der privat gekleidet war und überraschend freundlich wirkte. Er zeigte uns, wo wir gut essen gehen konnten und wo wir unser Zelt aufbauen konnten. Diese überraschende Begegnung werde ich nie vergessen.

Als Nächstes stand Manchester auf dem Programm. Die Fahrt dorthin, mitten in der Nacht, war ziemlich turbulent. Ein junger Mann im Zug hat lautstark ein Brathähnchen gegessen und sich nicht daran gestört, dass das ölige Essen in seinem Gesicht gelandet ist. Er versuchte, die Geräusche aus seinen Kopfhörern mitzusingen, was ziemlich ungewöhnlich klang. Währenddessen warfen Jugendliche Bierdosen durch den Waggon. Es war ein kleines Abenteuer, und wir mussten aufpassen, nicht getroffen zu werden.

Von Manchester aus sind wir dann mit der Fähre nach Irland gefahren. In Dublin änderte sich dann noch mal was in unserer Gruppe. In den Pubs, bei langen Gesprächen über das Leben und unsere Träume, lernten wir uns besser kennen. Aber der entscheidende Wendepunkt kam dann in Galway, an der rauen Atlantikküste. An den Klippen dort standen wir und schauten auf das tosende Meer. Der Wind wehte uns ins Gesicht und es fühlte sich an, als ob die Natur selbst die letzten Barrieren zwischen uns hinwegfegte. In dieser Einsamkeit und Erhabenheit wurde uns klar, dass diese Reise mehr war als nur eine Aneinanderreihung von Orten. Es war der Beginn von etwas Tieferem zwischen uns.

In Galway hat sie sich zum ersten Mal öffentlich zu ihren Zweifeln an der Verlobung und ihren Unsicherheiten bekannt. Das war der Moment, der alles veränderte. Wir standen uns plötzlich viel näher, als ich es jemals erwartet hatte. Die Reise ging weiter, diesmal mit anderen Eindrücken. Als wir schließlich mit der Fähre von Cork nach Frankreich fuhren und in Le Havre von Bord gingen, war mir klar, dass diese Reise für uns beide mehr war als nur eine Erkundung Europas.

Nachdem die blonde Frau ihre Reise beendet und sich auf den Weg nach Hause gemacht hatte, dachte ich nur noch an sie. Von Straßburg aus fuhr ich weiter nach Paris. Paris war beeindruckend, aber innerlich war ich unruhig und meine Gedanken kreisten um Irland. Trotzdem machte ich mich weiter auf den Weg und fuhr von Paris nach Lissabon. Die Stadt war lebendig und faszinierend, aber die Erinnerungen an die blonde Frau ließen mich nicht los.

Nach meinem Aufenthalt in Lissabon hatte ich eigentlich vor, nach Barcelona und Montpellier zu reisen. Aber ich habe meinen Anschlusszug in Madrid verpasst. Das war für mich das Zeichen, dass ich diese Reise jetzt beenden sollte. Ich hatte so viel gesehen und erlebt, dass ich mich bereit fühlte, wieder nach Hause zurückzukehren. Ich glaube, das war einfach Zufall oder Schicksal, dass meine Reise dort endete, wo sie begonnen hatte – in Basel.

Als ich in Basel ankam und mir eine Fahrkarte für die Rückfahrt nach Deutschland kaufte, erlebte ich eine überraschende Situation. Ein kleines Mädchen umarmte mich, weil sie offenbar dachte, ich sei jemand anderes. Die Verwechslung konnten wir schnell aufklären, und der Moment hat uns allen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Diese Art von Begegnung war eigentlich ganz einfach, aber auch irgendwie besonders. Als ob mir meine Zukunft präsentiert würde.

Aber das Highlight des Tages war dann das Treffen mit einer jungen Frau in Heidelberg. Wir hatten einen tollen Tag voller Freude, Zuneigung und Liebe – es war, als hätte ein neues Kapitel meines Lebens begonnen.

Diese Reise war der Beginn einer Liebesgeschichte, die später in unsere Ehe mündete. Rückblickend war diese Zeit eine der bedeutendsten meines Lebens. Sie lehrte mich Geduld, Vertrauen und Offenheit. Was als zufällige Begegnung in Basel begann, entwickelte sich zu einer Beziehung, die mein Leben für viele Jahre prägen sollte.